Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Kann der Afghanistan-Einsatz Deutschland sicherer machen?

1. Februar 2011

Deutscher ISAF-Soldat während einer Patrouille in Masar-e-Sharif. Foto: isafmedia auf flickr.com. Bestimmte Rechte vorbehalten

Der Bundestag hat jüngst die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes beschlossen. Doch der Politkwissenschaftler Thomas Rid ist über die Debatte hierzulande enttäuscht.

Ein Interview von Simone Schelk

Herr Rid, der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan geht in sein zehntes Jahr. War das Ziel zu hoch gesteckt?

Der Afghanistan-Einsatz war von Anfang an begründet damit, dass man den Amerikanern loyal zur Seite stehen und gleichzeitig Deutschland sicherer machen müsse. Aber neun Jahre danach stellt sich die Frage, inwiefern der Einsatz wirklich dazu beigetragen hat. Das Ziel ist ja nicht, Afghanistan zu stabilisieren. Sondern die Stabilisierung von Afghanistan ist ein Mittel, um das Ziel zu erreichen: Terrorismus zu unterbinden. Vielleicht ist das kommende zehnjährige Jubiläum kein schlechter Anlass, mal darüber nachzudenken, ob diese Annahmen wirklich noch realistisch und richtig sind.

Trägt die Begründung überhaupt noch?

Die ohnehin problematische Begründung, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, wird immer wackeliger. Die Stabilisierung Afghanistans ist bis jetzt nicht erreicht. Und die Frage, ob dieses Ziel überhaupt in dem Zeitrahmen von 2012 oder 2014 realistisch erreichbar ist, ist offen. Wahrscheinlich ist es nicht.

Das klingt nicht sehr optimistisch.

Das stimmt. Denn der entscheidende Punkt ist ja, dass die Terrorismus-Problematik in Pakistan, Somalia oder im Jemen fortbesteht, selbst wenn wir die optimistischsten Szenarien für Afghanistan anlegen. Deshalb kann man sagen, dass sich der ursprüngliche Zweck, nach Afghanistan einzumarschieren, zumindest zum Teil abgekoppelt hat von der Terrorismus-Problematik.

Gibt es also keinen Zusammenhang zwischen dem Terror in Europa und Afghanistan?

Interessant ist tatsächlich, warum es in der Zwischenzeit keinen größeren terroristischen Anschlag in Europa seit London 2005 gab. Wir hatten mehrere erfolgreich verhinderte Anschläge und einige, die mit Glück danebengingen wie zuletzt in Stockholm. Und wenn wir genau hinschauen, sieht man, dass sie zum Teil mit Afghanistan zusammenhängen.

Inwiefern?

Zum Teil, weil die Attentäter in der Region trainiert haben; zum Teil, weil der Afghanistaneinsatz die Extremisten erst motiviert hat, hier etwas zu unternehmen. Der Einsatz hat also zwei Effekte, einen positiven und negativen. Positiver Effekt ist, dass Al Kaida in Afghanistan nicht so stark ist, wie sie es heute sein könnte. Und der negative Effekt ist, dass Extremisten auch in Europa denken, aus Wut auf den Einsatz in Deutschland zuschlagen zu müssen. Aber das stellt ja letztlich die Frage neu, was die erfolgreichen Anschläge verhindert. Die Antwort ist, dass die bessere Geheimdienstzusammenarbeit in Europa Anschläge verhindert hat. Nicht so sehr die Tatsache, dass europäische Länder in Afghanistan militärisch engagiert sind. Wie will man dieses Problem anpacken? Darüber wird hierzulande politisch leider kaum diskutiert.

Die Debatte in Deutschland ist also eine Nicht-Debatte?

Ich bin in einer gewissen Weise enttäuscht, wie wenig dynamisch die politische Debatte gerade hier verläuft. In den USA ist die Kritik am Afghanistan-Einsatz wesentlich ausgefeilter und schlagkräftiger. Und das ist eine bemerkenswerte Dynamik vor dem Hintergrund dessen, dass Obama und die Demokraten keine politische Opposition zu fürchten haben, die gegen den Einsatz agitiert. In Deutschland gibt es diese kritische Opposition – und trotzdem gibt es keine befriedigende Debatte, wie sich in dem Abstimmungsverhalten der Abgeordneten zeigen wird.

Sie kennen die politische Debatte in den USA sehr gut. Wie beurteilen Sie im Vergleich dazu die deutsche?

Offiziere und Generale ergreifen hier öffentlich sehr selten das Wort und vermeiden es wie der Teufel das Weihwasser, politisch zu sein. In den USA ist das nicht der Fall. Dort scheut sich ein General Petraeus nicht, öffentlich das Wort zu ergreifen. Im Gegenteil: Das ist ein erklärtes Ziel von ihm, weil er weiß, wie wichtig Politik ist für den Erfolg. Das ist ein wichtiger Punkt. In Deutschland müsste man also fragen, warum Anhörungen mit Offizieren im Verteidigungsausschuss nicht öffentlich sind. In den USA sind sie öffentlich. Zweiter Punkt: In der deutschen Politikwissenschaft und in deutschen Universitäten ist es immer noch verbrämt, sich mit Krieg und Gewalt wissenschaftlich auseinanderzusetzen.

…zumal der Begriff „Krieg“ in Bezug auf Afghanistan ja auch umstritten ist.

Ich habe mich in den letzten fünf Jahren in Frankreich, in England, in den USA und zuletzt in Israel mit Krieg politikwissenschaftlich und praxisnah auseinandergesetzt. Und jetzt komme ich zurück nach Deutschland, wo allein die Tatsache, dass der Begriff Krieg verwendet wird, Nachrichtenwert hat. Das ist schon befremdlich.

Weshalb?

Die Frage, ob der Afghanistan-Einsatz Krieg ist oder nicht, ist doch nicht interessant. Was eigentlich diskutiert werden müsste, sind die Gründe und Fragen, ob es angemessen ist, was die Bundeswehr in Afghanistan tut. Ob taktische und operative Lehren angemessen sind oder nicht: Das sind interessante Fragen, nicht, ob wir jetzt Krieg sagen oder nicht. Allein das Wort Krieg zu benutzen, heißt übrigens noch nicht, dass man Krieg unterstützt. Das heißt nur, dass man der Realität ins Auge blickt.

Der Sozialwissenschaftler Dr. Thomas Rid forscht derzeit am Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz. In seinem Forschungsprojekt fragt er danach, was passiert, wenn Sieg in militärischen Auseinandersetzung keine Option mehr ist. Kann Abschreckung dann politische Gewalt verhindern? Abstract

Das Interview führte Simone Schelk. Sie ist assoziiertes Mitglied der Forschungsgruppe „Konfliktgeneratoren“ des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“.

Das Interview ist zuerst erschienen im Südkurier vom 28. Januar 2011.